„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ Primo Levi
Am 6. April 1945 befreiten Truppen der neunten US-Armee die Stadt Hamm. Heute, 70 Jahre nach der Befreiung Hamms starten wir die Befreiungstage, in denen bis zum 8. Mai der Opfer der Shoa gedacht und an die Verbrechen Deutschlands erinnert werden soll. Während Hamm bereits am 6. April befreit wurde, dauerte es noch weitere vier Wochen, bis Deutschland nach dem Selbstmord Hitlers am 30. April schlussendlich am 8. Mai bedingungslos kapitulierte. Das Ende des Vernichtungskrieges bedeutete nicht, dass das Leiden der Menschen beendet war, die unter der deutschen Gewaltherrschaft von 1933-1945 gelitten haben. Für viele Jüd*innen und rassistisch Verfolgte sowie wegen ihrer Andersartigkeit inhaftierte kam die Befreiung zu spät. Die Opfer des industriellen Massenmords, den das deutsche Volk in den Jahren seit 33 nach und nach in Europa aufbaute, die Shoa, bleiben uns mahnend in Erinnerung. Die Auslöschung des Faschismus mit all seinen Wurzeln verstehen wir als Auftrag an die Nachgeborenen.
Erinnern heißt kämpfen
Und selbst heute, 70 Jahre danach, versucht Deutschland weiterhin mit diplomatischen Kniffen sich der Aufarbeitung dieser Verbrechen gegen die Menschheit zu entziehen. Während mit dem Widerstand der größtenteils adligen Wehrmachtsoffiziere das Bild des “Guten Deutschen” staatstragend konstruiert wird, wird anderer Widerstand bspw. von Jugendbewegungen und kommunistischen Gruppen aus ideologischen Gründen diffamiert. Die einseitige Erinnerungskultur in diesem Land versucht hier, eine Trennung in “böse Nazis” und “gute Deutsche” zu ziehen. Dabei negiert sie eine Kollektivschuld aller Deutschen, sei es durch Opportunismus, direkte oder indirekte Teilhabe.
Das selbst 70 Jahre danach noch immer um eine Entschädigung und Auseinandersetzung mit den Verbrechen der einzelnen Kampfverbände von SS über die Wehrmacht bis zu einzelnen Richter*innen oder Munitionsstopfern gestritten werden muss, zeigt des Beispiel von Distomo in Griechenland. Erschreckenderweise versucht Deutschland, sich den Forderungen von Opfern weiterhin zu entziehen. Dies ist für uns ein nicht zu rechtfertigendes, arrogantes Vorgehen.
Aber nicht nur die Aufarbeitung stockt in einer Zeit, in der mehr und mehr Überlebende der Shoa sterben. Denn noch immer betreiben Neofaschist*innen in Deutschland das Morden und die Gewalt von damals weiter. Getragen von einem sich ausbreitenden Patriotismus brennen Asylsuchendenunterkünfte, werden Menschen ermordet und verfolgt. Geschichtlich ist der 6. April das Ende der faschistischen Herrschaft in Hamm. Aber an diese Tage zu erinnern bedeutet, weiterhin für antifaschistische Praxis und gegen Ausformungen des Neofaschismus zu kämpfen. Egal ob in der Gestalt moderner Nazis oder der alltäglichen deutschen Zustände.
Hamm 1933-1945
Wie in ganz Deutschland kam es auch in Hamm bereits vor 1939 zu gewalttätigen Übergriffen auf Jüd*innen. Viele jüdische Geschäfte wurden “arisiert” – damit bereicherte sich die Hammer Bevölkerung an jüdischem Besitz.
Während der Novemberprogrome wurde die Synagoge in der Innenstadt zerstört, eine jüdische Familie fand den Tod. Auch im Alltag wurden Jüd*innen drangsaliert und gedemütigt. Diese antisemitische Grundhaltung der Deutschen in Hamm endete in der Deportation Hammer Jüd*innen in die Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, oder nach Zamosc und Theresienstadt. Keine*r überlebte.
Auch die Zwangsarbeitendenlager in Hamm brachten für die Gefangenen Tod und Leid. Die Opfer der deutschen Verbrechen waren auch in Hamm zahlreich – die Gründe ihrer Verfolgung waren unterschiedlich, doch sie alle wurden Opfer des deutschen Faschismus. Ihr Fehlen in der Stadt muss damals für jede*n bemerkbar gewesen sein. Dennoch hoben die Menschen in Hamm ihren Rechten Arm und unterstützten die faschistische Ideologie. Als am 22. April 1944 die Innenstadt von Hamm in Schutt und Asche gelegt wurde, war das eine gerechtfertigte Antwort auf den deutschen Vernichtungskrieg in der Welt. Gerade weil Hamm als Logistikstandort für Truppen, Güter- und Waffentransporte den Krieg nach Europa transportierte und dadurch als ein Umschalgplatz gelten kann. Wir fordern eine offensive Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Hamms und setzen uns für ein angemessenes Erinnern an diese Verbrechen ein. Wir wünschen uns kämpferische Befreiungstage in Hamm. Der Kampf gegen Deutschland war und ist weiterhin ein Kampf für die Befreiung aller.
Wir danken den Truppen der US-Armee für die Befreiung Hamms. Wir danken den Allierten für die Befreiung Deutschlands. Wir danken allen Widerstandskämpfer*innen, die sich dem Faschismus entgegengestellt haben. Wir erinnern an alle Opfer rechter Gewalt, damals wie heute – damit sich Geschichte nicht wiederholt.